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Laschet, Scholz und Baerbock in der Typ-Analyse › absatzwirtschaft
Bundestagswahl 2021 – und alles wird anders? Was erwartet die Deutschen nach 16 Jahren der Ära Angela Merkel? Schauen wir uns die drei Kanzlerkandidatinnen bei der Bundestagswahl genauer an, um besser verstehen zu können, wie sie agieren, führen und in welchen Parteizwängen sie möglicherweise stecken.
Von Daniel Wixforth, Partner, 365 Sherpas
Genau zu wissen, mit wem wir es zu tun haben – das ist bei dieser Bundestagwahl vielleicht noch wichtiger als sonst. Denn wer am Ende auch immer das Rennen um das Kanzleramt macht: Sie oder er wird in den nächsten Jahren mehr als weitreichende Entscheidungen treffen müssen.
Was bedeutet also eine Regierung mit einer Kanzlerin Annalena Baerbock, einem Kanzler Olaf Scholz oder einem Kanzler Armin Laschet für Deutschland? Neben vielen partei- und fachpolitischen Fragestellungen lohnt dafür auch ein Blick auf die Persönlichkeiten der drei Kandidatinnen und Kandidaten:
Wie “ticken” sie als politische Führungsfiguren?In welchen Netzwerken bewegen sie sich?Auf welche Rationalitäten vertrauen sie?Und welche politischen Erfahrungen haben sie geprägt?
Die Amerikanisierung der Politik
Bereits seit geraumer Zeit gibt es in Deutschland und Europa eine Tendenz, die von der Soziologie und der Politikwissenschaft als Amerikanisierung von Politik beschrieben wird. Verkürzt gesagt gewinnen dabei einzelne Persönlichkeiten trotz unserer sich vom US-System gravierend unterscheidenden Parteiendemokratie auch in der hiesigen Politik immer mehr an Bedeutung.
Ein Erklärungsmuster dafür: Die politischen Sachfragen sind in unserer globalisierten Welt so komplex geworden, dass die Bürgerinnen und Bürger Mechanismen suchen, um diese Komplexität zu reduzieren. Und am eingängigsten sind für Menschen eben immer noch Menschen.
Welche Menschen hinter den Kanzlerkandidatinnen und -kandidaten warten nun bei der Bundestagswahl 2021 auf uns?
Olaf Scholz: der Staatsmann
Als Vizekanzler, Finanzminister, ehemaliger Arbeitsminister und ehemaliger Erster Bürgermeister Hamburgs hat Olaf Scholz von den drei Kanzlerkandidatinnen die längste und intensivste Erfahrung beim Thema Regierungshandwerk. Das stellt die SPD auch klar in den Fokus ihrer aktuellen Kampagne – der entsprechende Slogan lautet hier: “Kompetenz für Deutschland”. Olaf Scholz ist also jemand, der weiß, wie der Maschinenraum von Politik funktioniert, der jedes Detail, jede Verästelung kennt und der jede Machtfrage schon einmal mitdiskutiert hat.
Spannend ist es hier, einen Blick auf das Verhältnis zur eigenen Partei zu werfen. Zwischen Olaf Scholz und der SPD herrscht keine innige Liebe – die muss es aber auch gar nicht geben. Um in Deutschland kanzlerfähig zu sein, ist eine gewisse Distanzierung zur eigenen Partei gar nicht verkehrt – man könnte fast sagen: sie ist notwendig. Am Ende kommt es für einen Kanzler oder eine Kanzlerin ja darauf an, gerade die Menschen jenseits des eignen Parteimilieus zu erreichen – dort gewinnt man Mehrheiten. Das haben zuletzt Angela Merkel und Gerhard Schröder vorgemacht. Und auch Olaf Scholz reiht sich erfolgsversprechend in dieses Muster einer mindestens dialektischen Beziehung zur eigenen Partei ein.
Armin Laschet: der Ausgleichende
Im Vergleich zur SPD, die eine stark programmatische und reformorientierte Partei ist, legitimiert sich die Union stärker durch Macht- und Regierungsfragen. Oberste Priorität hat es, das Land zu regieren: Hier liegt die Kernlegitimation der konservativen Volkspartei. Wenn die reine Lehre dabei stört, dann muss man sie pragmatisch außer Kraft setzen.
Das macht es für Armin Laschet mitunter einfacher, die eigene Partei auf Kurs und von Flügelkämpfen abzuhalten – wenngleich auch hier, anders als etwa zeitweise bei Helmut Kohl, zwischen Kandidat und Teilen der Partei derzeit keine innige Liebe zu erkennen ist. Anders als bei Scholz und der SPD speist sich die innerparteiliche Kritik an Laschet aber nicht an inhaltlichen Fragen, sondern eher am fehlenden Vertrauen in seine Fähigkeiten als Wahlkämpfer.
Als politische Persönlichkeit hat Armin Laschet die große Stärke, andere neben sich glänzen lassen zu können, das hat man in seinem nordrhein-westfälischen Kabinett immer wieder beobachten können. Für ihn muss eine Regierung ein Kollektiv aus starken Persönlichkeiten sein und nicht zwingend eine sich dem Chef unterordnende Gruppe von Wasserträgern. Im Wahlkampf kann diese Stärke allerdings auch zur Schwäche werden, verlangt die Öffentlichkeit hier in der Regel doch starke und als Charakter eindeutig erkennbare Führungspersönlichkeiten. Laschet aber ist eher nicht derjenige, der nach vorne geht, auch mal die Ellenbogen auspackt oder standhaft bei einer Position bleibt, wenn es Gegenwind gibt. Politische Führung versteht der Rheinländer Laschet eher als die Kunst von Ausgleichsmechanismen.
Annalena Baerbock: die Netzwerkerin
Ein näherer Blick auf Annalena Baerbock legt schnell ihre große Stärke frei: Das Netzwerken und das Sichern von Mehrheiten in der eigenen Partei. Baerbocks Berufung als Kanzlerkandidatin nach dem innerparteilichen Duell mit Robert Habeck ist somit das fast logische Ergebnis einer langen, strategisch angelegten Vorbereitung auf diese Rolle durch jahrelange Netzwerkbildung in der eigenen Partei.
Annalena Baerbock ist die Typ Vorsitzende, die auch abends noch bei einem oder einer Kreisvorsitzenden anruft und fragt: Wie ist denn die Lage bei dir vor Ort? Eine so akribische innerparteiliche Landschaftspflege ist weder normal noch einfach, bedenkt man die Größe und organisationelle Komplexität, die mittlerweile auch die Grünen erreicht haben.
Gleichzeitig birgt diese starke Orientierung nach innen für die wahlkämpfende Spitzenkandidatin Baerbock eine Gefahr, die sich in den nicht wenigen Fehlern gerade zu Beginn ihrer Kampagne bereits manifestiert hat: Wer seine eigene Position durch eine starke Innenorientierung erlangt und gefestigt hat, der übersieht gefährliche Zuschreibungen, Kolportagen und Fallstricke (siehe Lebenslauf- und Buchdebatte), die sich in der freien politischen Wildbahn jenseits des eigenen Parteimilieus ergeben. Hier müsste sich Baerbock als Kanzlerin eine deutlich bessere Sensorik zulegen.
Welche Zielgruppe entscheidet die Wahl?
Werfen wir jenseits der Kandidatinnen und Kandidaten noch einen Blick auf ein Paradoxon, das in diesem Wahlkampf besonders deutlich zutage tritt: Die nächste Bundesregierung muss in diesen vier Jahren Weichen stellen, welche die kommenden 40 Jahre beeinflussen werden. Das gilt für die Bekämpfung der Klimakrise ebenso wie für die immer weiter und schneller fortschreitende Digitalisierung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft.
Die in den genannten Bereichen zu treffenden politischen Entscheidungen betreffen mittel- und langfristig gesehen vor allem jene Wählerinnen und Wähler, die heute jünger sind, zum Beispiel zwischen 18 und 30 Jahren. Diese Gruppe macht im Jahr 2021 vom gesamten Elektorat aber nur grob ein Sechstel aus – allein die Gruppe der Wählerinnen und Wähler über 60 ist fast dreimal so groß!
Und genau hier liegt der springende Punkt: Matchtaktisch ergibt es für die Parteien durchaus Sinn, einen Wahlkampf zu führen, der sich primär an die ältere Bevölkerung richtet – besonders bei der Union, aber auch in Teilen bei der SPD lässt sich das auch deutlich beobachten. Die Frage ist allerdings, inwiefern ein solcher Wahlkampf versöhnbar sein wird, mit den notwendigen Einschnitten, die es etwa in der Klimapolitik kurzfristig brauchen wird, um den Planeten auch mittel- bis langfristig noch als lebenswert zu erhalten. Die Vermeidung von Generationenkonflikten wird hier eine der wichtigsten gesellschaftspolitischen Aufgaben der nächsten Bundesregierung sein.
Fazit zur Bundestagswahl 2021
Annalena Baerbock steht, nicht nur in dieser letzten Frage, am ehesten für Veränderungen. Doch auch eine Kanzlerin Baerbock wird ein Deutschland regieren müssen, so wie es ist: ein wirtschaftsstarkes, vergleichsweise konsensorientiertes, risikoaverses und in der einen oder anderen Frage auch saturiertes Land.
Von daher ist davon auszugehen, dass eine neue Bundesregierung, egal aus welcher Konstellation sie bestehen wird, nach der langen Ära Merkel zwar kulturell und fachpolitisch neue Akzente setzen wird – in einem anderen Land werden wir am 27. September aber sicher nicht aufwachen. Schon Konrad Adenauer hatte einen Wahlspruch, der für viele Deutsche bis heute als Maxime trägt: “Keine Experimente.”
Dr. Daniel Wixforth ist Partner im Berliner Büro von 365 Sherpas – Corporate Affairs & Policy Adviceund verantwortet die mandatsbezogene Koordinierung der Büros in Berlin und Brüssel. Der promovierte Medienwissenschaftler berät seit über zwölf Jahren Unternehmen, Institutionen und Ministerien in den Bereichen strategischer Kommunikationsplanung, Krisen- & Sondersituationen, Interessenvertretung und Organisationsentwicklung in Deutschland und auf EU-Ebene. (Foto: 365 Sherpas)
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